Von Jörg Manthey
Bielefeld (WB). Kollege Internet macht's möglich, dass die 1670 Autokilometer zwischen Bielefeld und Kragujevac/Serbien regelmäßig zusammenschmelzen. Dank des Live-Tickers der TSG Altenhagen-Heepen gestaltet sich der Abstiegskampf »seiner« Mannschaft in der 3. Handball-Liga für Dragan Ljakic Spieltag für Spieltag zu einem emotionalen Ausnahmezustand.

Auch an diesem Samstagabend wird der langjährige Mannschaftsbusfahrer mal wieder im TSG-Dress vor dem Computer hocken, um virtuell das Heimspiel in der Seidensticker Halle gegen den Tabellenletzten Ahlener SG zu verfolgen. »Das ist genau so aufregend wie live, nur eben ohne Bild.«

Die Installation eines solchen Tickers, der auf der Vereins-Homepage teils mehr als hundert Fans online mit Spielständen versorgt, war Dragan Ljakics Abschiedswunsch, als er 2010 nach Verrentung und 15 Jahren als TSG-Busfahrer in sein Heimatland zurückkehrte. Mittlerweile haben sich feste Rituale eingeschliffen. »Schon am Dienstag denke ich daran rum. Einiges will vorbereitet werden. Ich mache das mit viel Liebe«, erläutert der 64-Jährige, der aus Serbien die TSG-Homepage sorgfältigst mit allen möglichen Statistiken samt Berichten der Medien füttert. »Das ist meine Verbindung zur Truppe. Dank des Live-Tickers bin ich fast auf Ballhöhe mit meinen Lieblingen.«

Das sei mitunter nichts für schwache Nerven. »Wenn es eng zugeht, es wie zuletzt in Nordhemmern zehn Sekunden vor Schluss 31:30 für uns steht, dann zappel ich wie Rumpelstilzchen vor dem PC und mache die Familie verrückt.« Und wenn der nervöse Magen gar nicht mehr mitmacht und rebelliert, greift Ljakic in höchster Not schon mal zu selbst gebranntem Schnaps. »Dabei trinke ich überhaupt keinen Alkohol.«

Er sei stets erleichtert, wenn rechtzeitig vor dem Anpfiff eine funktionierende Internetverbindung hergestellt worden ist. »Jede Minute, die ich warten muss, kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Wenn ich lese: Schönen guten Abend in die weite Welt, dann fällt mir Stein vom Herzen.« Meistens erbarmt sich Hans-Ulrich Starck, die Tore, Minuten, Siebenmeter, Zeitstrafen, Torwartparaden und so weiter einzutippen.

Ein weiteres Ritual, um Informationen aus erster Hand zu erhalten, sind die Skype-Runden montags und donnerstags mit Heinz »Tönti« König (75). »Unsere heiligen Tage. Dragan saugt alles auf«, erzählt der TSG-Betreuer, der seinen alten Weggefährten »nicht immer freundlich« (Ljakic) mit Wissenswertem aus Spiel oder Training versorgt.

Es hat etwas von moderner Muppets-Show, wenn sich die beiden Oldtimer, wie einst Statler und Waldorf in ihrer Loge, gegenseitig die Bälle zuspielen und streiten. »Hallo, du Armleuchter«, bölkt König, im blauen TSG-Shirt, ins Mikro, um die dürftige Tonqualität zu kaschieren. Auf dem Flachbildschirm grinst, im roten TSG-Sweater, Ljakic aus seinem Wohnzimmer in die Kamera, die qualmende Kippe in der Hand. »Ich brauche keinen Freund, der denkt wie ich. Sonst könnten wir ja gleich das Gespräch beenden«, schmunzelt der Serbe angesichts »zwingend notwendiger Meinungsverschiedenheiten.« Natürlich ist Handball ihr Gesprächsthema Nummer eins, etwa das Deckungsverhalten – König vermisst einen Typen wie Calle Wagner – »aber wir unterhalten uns auch schon mal über das Einkochen von Weißkohl.«

Dass Helmut Bußmeyer mit seiner Entlassung als Bauernopfer die Zeche für den großen Umbruch vor der Saison samt langer Verletztenmisere zu zahlen hatte, bedauert Dragan Ljakic. »Wenn ein Physiotherapeut so viel Arbeit hat wie unser Karsten Keller, kriegt auch der Trainer Probleme. Unser Malheur ist, dass wir keine Bank haben. Wir brauchen neue Spieler.« Bußmeyer habe eine »super Leistung« vollbracht, mit 121 Spielen an der Linie und 83 Siegen Zahlen erreicht, die fraglos für einen langen Zeitraum einen TSG-Rekordwert bedeuten würden.

Handballspiele in Kragujevac sind für Dragan Ljakic kein adäquater TSG-Ersatz. »Die spielen zwar in der 1. Liga und sind da Vierter, doch direkt nach dem Schlusspfiff sind alle weg, Spieler wie Zuschauer. Da trinkt keiner noch ein Bierchen und plaudert ein bisschen«, sagt er enttäuscht und vermisst die Atmosphäre im Heeper Dom. Die kann ihm der Liveticker leider nicht vorgaukeln.

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